Gedicht

„Mondpichler“ (Arzt und Philosoph):Wien, 14. 01. 2003, 3. FassungÜBER DAS STERBEN

(Trostworte eines geliebten Toten an seine Familie und an seine Freunde)

Ich gehe langsam aus der Welt.... nach Haus,
in eine Landschaft jenseits aller Sterne.
Es trägt mich friedvoll aus der Zeit hinaus
in eine Zukunft jenseits aller Ferne.

Was ich erwarb und schuf auf karger Mutter Erde,
schenk ich in Liebe Euch, für eines Lebens Weile.
Ich aber schreite dankend, ohne Furcht und Eile
in eine Heimat, wo ich warten kann und werde.

Weltkrieg 1939 - 1945

DEN ÜBERLEBENDEN DES MATURAJAHRGANGES 1939 (GEBURTJAHRGANGES 1921)


Dieses Gedicht erinnert an den Opfergang des österreichischen Jahrganges 1921, der nicht die "Gnade der späten Geburt" hatte.
Nach dem Einmarsch der Hitlertruppen in Österreich im März 1938 spielte anscheinend in den Zukunftsplanungen der deutschen Heeresführung der Jahrgang 1921 eine große Rolle. Der Jahrgang 1921 war besonders geburtenstark, weil er sich aus den Kindern der vom 1. Weltkrieg 1918 und 1919 heimkehrenden Vätern rekrutierte, Soldaten der nach 4 1/2 Jahren geschlagenen Armeen.

Folgende Maßnahmen wurden von den deutschen Behörden getroffen:
Die normalerweise im Mai-Juni stattfindende österreichische Matura (Abitur) wurde auf den März 1939 vorverlegt.
Studenten, die im Herbst 1939 ein Universitätsstudium beginnen wollten, mussten vorher bereits am 1. April 1939 den Reichsarbeitsdienst (RAD) mit vormilitärischer Ausbildung ableisten.
Die Maturanten vom März 1939 sollten dann im September 1939 vom RAD zum Hochschulstudium entlassen werden.

In der Praxis kam es anders:
Ich rückte zum Beispiel am 1. April 1939 zum RAD in der Steiermark ein, völlig überraschend wurden wir am 1. August 1939 (als noch nicht 18-jährige und ohne wehrpflichtig zu sein) zur deutschen Wehrmacht überstellt.
Am 8. August 1939 wurden wir zum Bau von Artilleriestellungen in der Slowakei an der polnischen Grenze eingesetzt und ab 1. September 1939 nahm unser so genanntes Straßenbauregiment am Polenfeldzugeteil.

Über den Jablunkapaß drangen wir mit der übrigen Wehrmacht in Südpolen ein und erlebten dort die ersten Gefechte. Wir erlebten den Fall Krakaus, die Einnahme Galiziens und die Beschießung Lembergs. Nach dem Einmarsch der Sowjetunion von Osten aus, zog sich unser Truppenteil nach Przemysl zurück. An der San-Brücke von Przemysl sahen wir die ersten sowjetischen Wachtposten mit dem roten Sowjetstern auf der Mütze und ihren stets auf den Gewehren aufgepflanzten langen Bajonetten.

Nach Ende des Polenfeldzuges wurden wir im Oktober in das äußerste Karpateneck der Slowakei verlegt, wo wir im kalten Oktobernebel Straßenbauten durchführten. Mitte November wurden wir an den deutschen Westwall bei Saarbrücken verlegt, von wo es mir gelang, am 22. November 1939 abzurüsten und mein vorgesehenes Medizinstudium zu beginnen.

Als Studenten hatten wir das " Vorrecht", den Beginn des Krieges im September 1939 bereits mitzuerleben. Der normale übrige österreichische Jahrgang 1921 wurde im Februar 1941 zur Wehrmacht einberufen und vielfach auf verschiedene deutsche Truppenteile aufgeteilt.
Es waren dies bereits die Vorbereitungen für den geplanten Rußlandfeldzug ("Unternehmen Barbarossa").

Ab 22. Juni 1941 hatten die 19 und 20-jährigen Österreicher bei den deutschen Infantrieregimentern im Osten den höchsten Blutzoll zu entrichten. Sie wurden in den Kesselschlachten des Ostkrieges eingesetzt und mussten tausende Kilometer in den endlosen Weiten Rußlands marschieren.
Viele erfroren ohne entsprechende Winterausrüstung in den schrecklichen Winterkämpfen 1941/1942. Viele wurden vermisst oder später im Winter 1942/1943 in den hoffnungslosen Tagen von Stalingrad gefangen und starben in sowjetischer Gefangenschaft.

Das trug vor allem diesem Maturajahrgang den Namen von der "Verlorenen Generation des 2. Weltkrieges" ein.


DEN ÜBERLEBENDEN
DES MATURAJAHRGANGES 1939
(GEBURTENJAHRGANGES 1921)

Wenn spät die Silbernebel mählich wallen,
die überm Berg des Mondes fahles Licht erhellt,
ein einzig Schmuck: die tausend Sterne fallen
und tropfen müde sachte nieder auf die Welt.

Wenn leise zirpend viele Grillen rufen,
ein linder Wind, vom Wald her, stille Blumen wiegt,
die Nacht herniedersteigend breitet schützend
den Mantel um die Erde, die im Schlafe liegt:

Dann setz' ich langsam Schritt für Schritt die Wege,
die mich am Tag die strenge Pflicht nur hastig presst,
noch immer denk ich an das große Sterben
des Kriegs, an Wunden, die er schlug und bluten lässt.

Und meine Seele hebt sich wie ein Vogel,
der hungrig suchend über Gletscherwüsten kreist,
mit Fieberaug nach Heil und Hilfe spähend,
den stummen Gott anklagend, der den Weg nicht weist.

Zerstampft erblicke ich der Edlen Blüte,
zerstört die Stätten, wo zuvor die Sonne schien,
wie Flügelschlagen flattert meine Sehnsucht
und geistert trauernd über ganze Länder hin.

Mein Auge sucht die Freunde, welche fielen,
verschlungen von des Orkus Nacht, sich selber treu,
die junge Schar, ergeben höchsten Zielen:
zu bauen eine bessre Welt, im Glauben neu.

Ich sehne mich nach dieser Brüder Lachen,
nach der vertrauend-offnen Art zu sagen: Du!
So Freunde ohne Arg! So gegen Drachen
der Not und Schmach sie blieben Ritter immerzu.

Ich höre Stimmen, wie aus fernen Tagen,
ein Klingen fein und spitz, so wie ein Herz zerbricht
und vieler vieler Mütter stumme Klagen.
Die Geige weint. Doch alle hör'n sie nicht.

Sie hören nicht der Zeiten schrille Mahnung,
sie kennen nicht den Dünger, der den Boden tränkt.
Vergessen ist, was gestern noch geschworen
und auf der feilen Richtstatt wird die Treu gehenkt.

Wir trauern um der Jugend goldne Feste,
die ungefeiert, tot in Glasessärgen steh'n,
sind nicht bewirtet, ungeladne Gäste,
die zürnend, finster alle auseinandergeh'n.

Wir können nicht den Sternen dort befehlen,
viel lassen wir betäubt gescheh'n und hassen nicht.
Wir leiden alle. Wenn auch darbend wählen
wir würdelosen Schauspiels bessern Teil: Verzicht

Die eigne Brust ein Meer des Zwiespalts! Weiße
zerwühlte Brandung, Welle, die an Felsen bricht,
gepeitscht vom Sturm. So Schatten ungeheuer,
die wirre taumeln, stürzen in die Flut von Licht.

Das Gute, lebt es noch im Menschen?
Im Menschen, dieser Schöpfung Meisterwerk und Kron'?
Wo bleibt der Herzen, ausgeglüht im Leiden,
versprochen und verdienter, tapfrer Hoffnung Lohn?

Wo dann für alle Opfer, Ängste, Tränen,
für dieses Meer von Blut die große Antwort bleibt?
Welch Form gebiert sich unter solchen Qualen,
die aus Lebend´gem jener ew´ge Hammer treibt?

Ich stehe bebend, stumm vor den Gewalten,
zum Beten hebe ich verstohlen meine Hand:
beschweige Großes, fühl' im Leide Wissen
um dies Geschehen, andern Seelen blutsverwandt.

Wir kehren heim zu unsern heil´gen Herden.
Still kehre ich zurück, noch schwer den Kopf gesenkt.
Der Morgen graut. Noch schlafen Vögel, Blumen.
Wie große Gaben hat mir diese Nacht geschenkt!

 
Aus dem Buch "Das schwerelose Universum".